Flucht, fliehen, egal um welchen Preis, fliehen vor den Schrecken der eigenen Psyche, den Monstern, den Stimmen, den Gedanken, den Bildern, dem unvorstellbaren Erlebten, das sich immer wieder, wie in einer Dauerschleife, vor dem eigenen inneren Auge abspielt.
Es gibt eine schmale Grenze, nur sichtbar für diejenigen, die sie sehen wollen. Eine schmale Grenze zwischen den Welten. Zwischen unserer Normalität, dem Funktionieren, der Gesellschaft und dem Anderem, dem abstrusen Strudel der Einsamkeit, der sich hinter einem dichten Vorhang aus Tränen auftut. Tränen die nie geflossen sind, die hätten fließen sollen und es doch niemals sind. Eine Welt in der die aufgesetzte Maske fällt und den Blick auf die Wahrheit preisgibt. Wo die Kleidung nichts mehr verdecken kann vor dem Auge des eigenen strengen Gerichtes.
Die Strafe lautet Hunger, der eigene Hunger, der einem in dem leeren Magen beißt, in lauter Verzweiflung nach einem letzten lauten Aufschrei erstickt und der eigene Körper sich nun selbst verzehrt. Die Flügel fallen immer zuerst, der eigene Körper, ein trauriger Rumpf, folgte in einem langsamen und qualvollen Zerfall, bis die eigenen Beine ihn nicht mehr zu tragen vermögen und das Herz selbst vom Hunger schon verlassen auf ein Entkommen wartete, auf die Flucht aus diesem Strudel hoffte, darauf hoffte wieder fliegen zu können.
Eine Hoffnung, die in einer Sackgasse mündet, einer Sackgasse, die der gierige Strudel verschlingt. Eine obszöne Vorstellung, eine Flucht, die in einer noch größeren Verzweiflung und Abhängigkeit endet und das Herz sich somit seinem Ziel der Freiheit, dem Entkommen, dem Fliegen auf einer Straße, die nach einer Zeit einen “point of no return“ überschreitet, sich immer weiter in den Strudel hinwegbewegt.
Der Schmerz ermöglicht die Flucht, es ist der einfachste Weg, auf den ältesten Rezeptoren und Nervenbahnen des Menschen selber, sendet er ein klares und einfaches Signal, das selbst den Schlafenden aus seinen Träumen reist, die Illusion eines Fluges vermittelt, bis dann der unverhinderbahre Absturz folgt.
Erbrechen, mit dem eigenen Finger im Hals, Mal um Mal, ist doch kein weiteres Mal so befriedigend, so verletzend und schmerzhaft, wie das erste Mal. Auch nicht, wenn der Finger im Hals überflüssig wird, der Körper sich an den Rhythmus des Erbrechens gewöhnt hat und schon beim bloßen Anblick einer Toilette, den Mageninhalt hinausbefördert.
Ein einfacher Schnitt, mit einer scharfen Klinge, klar, fein und wunderschön in seiner Perfektion, verbunden mit dem optischen Reiz des austretenden Blutes, ein befreiendes Gefühl, ein Rausch, ein Flug, dem das Herzen schnell verfallen kann. Aus einem Schnitt werden viele, der Drang nach der Freiheit immer schwerer zu befriedigen und aus einem sanften fahren mit der Klinge über die Haut, wird eine chaotische Schlachtorgie, in der ein Schnitt dem anderen folgt, einer tiefer als der andere. Ein Rausch, ein Wüten, eine Abwesenheit des Geistes und nach dem Erwachen in einer Lache des eigenen Blutes, mit einem blutenden Arm, aus dessen zahlreichen Wunden, das Blut munter auf den Boden der Realität und in das Waschbecken tropft. Mit Nadel und Faden werden die Wunden geschlossen, ohne Betäubung, der Arm ist taub, der Schmerz hat ihn längst verlassen, die Wunden schmerzen nicht, die Nadel schmerzt nicht. Die Augen sehen sie, doch werden ihre Stimmen nicht gehört, ihre erschrockenen Gesten und Augen nicht zur Kenntnis genommen. Im Kopf ist es ruhig, die Sucht hat alles voll im Griff. Es gibt nur ein Verlangen, ein Ziel, die Haut wieder zu teilen, im Rausch an sich selber zu wüten, die Klinge tief in den eigenen Arm zu schlagen und in einer Lache des eigenen Blutes zu erwachen.
Realität für viele, viel mehr als man sich denken, vorstellen mag. So viele sitzen da gefangen in diesem Strudel, liegen am Boden, haben sich selber aufgegeben, werden nur noch von ihrer Sucht bestimmt, geleitet, das eigene Ende, ist ohne Hilfe, ohne das Erreichen des Betroffenen so nah. Diese Phasen, keiner vermag zu sagen, wie lange sie sein werden, keiner vermag zu sagen, was für einen Preis sie fordern werden, aber nach dem überstehen, dem überleben, wird nichts wie zuvor sein.
Ich habe überlebt, mich vom Boden des Strudels wieder erhoben, kämpfe mich zurück an die Oberfläche. Lange wird es dauern, wie lange, weiß ich selber nicht…
Ich bin ein Überlebender, ein Veteran im Kampf gegen mich selber, gegen meine Schattenseite.
Es gibt Dinge, die sich viele Menschen nicht vorstelle können, die viele Menschen nicht sehen und verstehen und mein Kampf, meine Überleben gehört dazu.